Der Ort, an dem sich die Viren verbreiten, und der Ort, an dem man sie bekämpft, liegen keinen Steinwurf voneinander entfernt. Die Lagoa do Porangabussu ist ein stehendes, mit Nährstoffen angereichertes Gewässer, dessen schlecht gepflegte Infrastruktur heillos überfordert ist mit dem massiven Wachstum der Metropole Fortaleza im Nordosten Brasiliens. Drumherum finden sich kleine Favelas, ungeordnete und ungeplante Siedlungen. Das Abwassersystem funktioniert unzureichend, und so finden sich um die Lagoa zuhauf trübe Pfützen und unbewegte Wasserläufe. Was das bedeutet, merkt man nach wenigen Minuten: Es kratzt und juckt, der Besucher wird zum Festmahl. Allerorten sind Mücken . Auch mitten am Tag in sengender Hitze stechen einige zu, insbesondere die der Gattung Aedes aegypti , der ägyptischen Tigermücke. Sie überträgt eine Vielzahl von Viren auf den Menschen, die Krankheiten auslösen. Vor allem sind es immer neue Krankheiten.
"Kennen Sie ein Virus namens Saint Louis? Ein viel zu schöner Name für ein Virus", sagt Ivo Castelo Branco Coelho einen Straßenblock weiter zur Begrüßung. Nicht weit entfernt von den Favelas leitet Coelho das Institut für Tropenmedizin der Universitätsklinik. "Oder Oropouche? Chapare, Sabiá, Chikungunya? Mayaro? Ich hatte zuletzt zwei Fälle davon. Der Punkt ist: All diese Viren existieren, und sie können sich auf den Menschen übertragen." Über die Mücken? "Die meisten schon."
Mehr als zwei Millionen Dengue-Fälle gab es allein in diesem Jahr bereits
In Brasilien heißt das aktuell größte Problem Dengue. Zwar macht sich das Virus nicht bei jedem, der infiziert ist, bemerkbar. Schlägt das Fieber aber an, wird es unangenehm: Aufgrund der schweren Schmerzen heißt Dengue auch Knochenbrecherfieber. In seiner schwersten Form kommt es zum Dengue-Schock-Syndrom, dem Zusammenbruch des Blutkreislaufs und letztlich zum Tod.
Die Zahl der registrierten Fälle in Brasilien steigt kontinuierlich. Waren es im Jahr 2000 noch etwa 135 000 Infizierte, so kletterte die Zahl der Betroffenen schubweise. Allein 2024 gibt es mit rund 2,6 Millionen bereits so viele Fälle wie noch nie . Auch die Zahl der Dengue-Toten nähert sich einem Rekord. Statistisch verstirbt alle etwa 2600 Meldungen ein Patient in Brasilien.
Um den Erreger zu bezwingen, müsste man die Mücke bezwingen. Im Süden von Fortaleza zeigt sich, wie das funktionieren kann - oder eben nicht. Ein ehemaliger Patient meldet sich über das Handy des Infektiologen Ivo Coelho: Überall Moskitos im Haus! Einige Textnachrichten und Fotos später ist klar, dass der Schuttberg von nebenan untersucht werden muss. Ein Beauftragter der Stadt wird entsendet. Und tatsächlich nutzen viele das verwahrloste und überwucherte Grundstück als informelle Müllkippe. Im mit Regenwasser gefüllten Plastikmüll schwimmen Larven der Tigermücke. Dem Besitzer des Grundstücks wird eine Strafe angedroht, nach wenigen Tagen ist der Schuttberg beseitigt. Problem erledigt? Wohl kaum.
Das könnte am Ende auch dem Menschen schaden, warnen Wissenschaftler nach umfangreichen Genom-Analysen. Von Berit Uhlmann
"Es gibt Leute, die mit dieser Arbeit ihr Geld verdienen", sagt Coelho. "Sie wollen nicht, dass alle Mücken verschwinden." Der Mediziner hat schon mehrfach Methoden ersonnen, wie man die Brutstätten der Mücken methodisch und langfristig beseitigen könne. Doch Coelho blitzte immer wieder ab. So findet sich immer irgendwo eine größere Mückenbrutstätte. Coelho ist sich sicher: Der Kampf gegen die Moskitos ist für einige Firmen und Staatsbedienstete zu lukrativ, als dass diese ihn tatsächlich gewinnen wollen.
Dabei ist Dengue seit Jahrzehnten auf dem Vormarsch. In den 1950er-Jahren kam es zu Ausbrüchen in Asien, in den Siebzigern und Achtzigern setzte das Virus nach Afrika und Mittel- sowie Südamerika über. "Das Virus verbreitet sich auf der ganzen Welt, es kommt nach São Paulo, nach Detroit, nach Europa", sagt Coelho. So wurden 2023 in Italien, Spanien und Frankreich 128 Denguefälle bekannt. Die meisten wurden lokal erworben, also nicht von Südamerika-Reisen mitgebracht. Der Überträger hier: Aedes albopictus , die asiatische Tigermücke, die sich wegen des Klimawandels immer weiter nördlich wohlfühlt. Da die Temperaturen weiter steigen, ist es gut möglich, dass Dengue auch in Deutschland endemisch wird.
Stoppen könnte die Ausbreitung womöglich ein Impfstoff, doch die Entwicklung eines Vakzins gegen Dengue ist komplex. "Dengue hat vier Varianten, genannt Serotypen. Eine Person kann deswegen mehr als einmal infiziert werden", erklärt Fernanda Boulos, medizinische Leiterin des biomedizinischen Instituts Butantan. Das Non-Profit-Institut in der Metropole São Paulo ist der größte Impfstoffhersteller Lateinamerikas. "Die natürliche Immunität, die jemand gegen Dengue entwickelt, richtet sich immer gegen einen bestimmten Serotyp. Wenn man einem anderen Serotyp ausgesetzt ist, kann die Krankheit erneut ausbrechen."
Auch andere von Viren verursachte Erkrankungen treten immer häufiger auf.
Boulos ist verantwortlich für den neuen Dengue-Impfstoff des Instituts, der Bestandteile aller Serotypen in sich trägt und somit gegen alle Varianten wirkt. Die Ergebnisse deuten bisher darauf hin, dass das Butantan-Vakzin rund 80 Prozent der Erkrankungen verhindern kann; bei jenen, die zuvor mit Dengue in Kontakt waren, sogar fast 90 Prozent. Man befinde sich am Ende der finalen Testphase. "Die Studie soll Mitte dieses Jahres abgeschlossen werden", sagt Boulos. Für Brasilianer wird der Impfstoff dann voraussichtlich 2025 günstig verfügbar sein.
Zuletzt beobachtete man an 16 000 Probanden, wie effektiv das Vakzin wirkt - und das bei jedem Probanden über fünf Jahre. Der lange Zeitraum ist nötig, um mögliche Komplikationen zu erkennen. "Wenn ein Patient einem zweiten Serotypen ausgesetzt ist, führt das Vorhandensein von Antikörpern eventuell zu schweren Entzündungsreaktionen", sagt Boulos. Ein Impfstoff kann im schlechtesten Fall eine Zweiterkrankung also verschlimmern.
Dieser Zusammenhang wurde dem Impfstoffkandidaten Dengvaxia des Pharmakonzerns Sanofi wohl zum Verhängnis. Aufgrund mehrerer Todesfälle nach Sanofi-Impfungen verbot die philippinische Regierung 2017 den Impfstoff, auch die Weltgesundheitsorganisation schränkte die Empfehlung stark ein . In Nachuntersuchungen wurde bekannt, dass in Sanofis finaler Testreihe die Möglichkeit schwerer Zweitinfektionen nicht in Erwägung gezogen wurde.
Womöglich müssen die Impfstoffentwickler künftig gegen noch mehr Viren Vakzine entwickeln. Denn auch Chikungunya, Zika oder Moyara treten laut Fernanda Boulos immer häufiger auf. "Das ist kein subjektiver Eindruck, das ist eine auf Daten basierende Tatsache."
Doch woher kommen all diese neuen Krankheiten? Gemeinsam ist den sogenannten Arboviren, dass sie über Mücken oder Zecken auf den Menschen überspringen. "Im Amazonasgebiet gibt es mindestens 17 Arboviren, die Enzephalitis, Meningitis und hämorrhagisches Fieber verursachen", sagt Ivo Coelho. Also Hirn- oder Hirnhautentzündungen sowie innere Blutungen.
Dabei profitieren die Erreger vom Vorrücken des Menschen. Auf der Suche nach neuem Ackerland oder nach tropischen Hölzern und Rohstoffen dringt er mittlerweile in die abgelegensten Gebiete des Amazonas-Regenwaldes ein. Allein 2022 entwaldeten Arbeiter unter dem rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro eine Fläche größer als Zypern. verschwand unter seinem Nachfolger Lula da Silva noch ein Waldgebiet größer als Mallorca. Dabei kommen die Menschen Wildtieren und Virenstämmen nahe, die zuvor isoliert waren. Hinzu kommt laut Coelho: "Da es aufgrund der menschlichen Aktivitäten keine Schlangen, keine Frösche und keine Fische mehr gibt, die den Mückenbestand regulieren, haben diese sich überall verbreitet."
Auch in Indonesien oder Westafrika wird ein vermehrtes Auftreten von Arboviren beobachtet. In Zeiten der globalen Vernetzung breiten sich Mücken samt Viren rasant aus. Und oft fehlt dann nicht mehr viel zum Ausbruch einer Epidemie.
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Von Tobias Landwehr